Mein neues Werk der Comic-Musik ZEIT UND ZEIGE – Show Time Music (klingt eine Spur zu heideggerisch, bot sich aber sehr aufdringlich an), eine knapp viertelstündige Suite für teils kleine bis mittlere Orchesterbesetzung nach neun in einem alten Familienalbum aufgefundenen Fotografien, ist wiederum ein synästhetisches Experiment. Das älteste Foto zeigt dieHochzeit meiner Großeltern Rosa und Georg 1919, das späteste ein ländliches Familienfest 1941.
Ich habe diese Bilder bewusst vorrangig heiter, kapriziös, beinahe schelmenhaft vertont, entsprechend dem Gemütszustand der darauf Abgebildeten. Nur hin und wieder schleichen sich sinistre Töne ein. Das Experiment besteht darin, das Idyll dieser Musik durch die Konnotation der Bildüberschriften in einen Grusel-Score zu verwandeln.
Die Fotografien selbst werden nicht gezeigt, in den Gehirnen der Zuhörer werden dafür ähnliche Bilder aus dem eigenen Umfeld abgerufen. Solche Fotos, vor allem wenn es sich um schon vergilbte Schwarz-Weiß-Fotografien handelt, sondern meist eine mysteriös weitgefächerte Gefühlspalette ab, von der Nostalgie, der Sentimentaltiät, dem Erstaunen darüber, wie wenig Zeit eigentlich seit dem Gezeigten verflossen ist (wie viel Fortschritt also erzielt wurde…) bis hin zum nur als Bildungsfolie vorhandenen historischen Grauen, der nirgendwo sichtbaren oder hörbaren Folge des 2. Weltkrieges bzw. des Holocausts. Hinzukommt der Grundgrusel fast aller alten Bilder, die inzwischen Verstorbene in einem glücklichen Augenblick ihres Lebens zeigen.
Wie schon bei MUSIK AM HOFE DES KAISERLICHEN IMPERATORS ergänzen sich Musik und Schrift zu einem geistigen (‚imaginär‘ wäre hier ein reizend widergängiges Wort) Film. Die Musik erfährt selbstverständlich eine Wechselwirkung und Sonderdeutung durch die Bildinhalte. Die zum Foto von 1941 bekommt zum Beispiel nur durch das Datum etwas von hoffnungsvoller Welteroberungsfeier, die von der Emigration des Onkel Fritz 1939 nach USA einen Ällabätsch-Faktor des gerade noch einmal Entkommen-Seins.